Therapeutische Shavasana im Yin Restorative Yoga
Shavasana ist für viele die scheinbar passive Schlusssequenz einer Yogapraxis – der Moment des Nachspürens, der Ruhe. Doch diese scheinbare Stille birgt eine unglaubliche Kraft: Sie ist die Tür zur tiefsten Regeneration, zur Selbstheilung und zur Rückverbindung mit dem eigenen Körper. Gerade im Yin Yoga wird Shavasana zum aktiven Prozess, der oft unterschätzt wird.
In meiner langjährigen Yin-Yoga-Arbeit habe ich deshalb therapeutisch inspirierte Varianten entwickelt, die ich Auto-Cranio und Auto-Osteo nenne. Diese unterstützen den Körper durch gezielte Lagerung mit einfachen Hilfsmitteln und wirken wie eine sanfte therapeutische Begleitung im Liegen. Sie orientieren sich an Prinzipien der Craniosacral- und Osteopathie, wo mit leichter Berührung der craniosacrale Rhythmus und die Selbstregulation des Körpers stimuliert werden. Da in Gruppensettings oder Videos keine gezielte therapeutische Berührung möglich ist, simulieren die Hilfsmittel diese Impulse. Sie ersetzen keine Hand, aber sie können ein Signal von Halt und Sicherheit geben.
Die Kraft des Loslassens im Shavasana
Shavasana ist nicht einfach nur „Pause“. Es ist ein aktiver Zustand, in dem das Nervensystem die Gelegenheit erhält, von der Sympathikus-getriebenen Alarmbereitschaft in einen Zustand parasympathischer Ruhe zu wechseln. Die passive Haltung allein reicht manchmal nicht aus, um diesen Umschaltprozess tief zu ermöglichen. Unterstützte Varianten setzen hier an: Die gezielte Lagerung und das behutsame Zugedecktsein mit Decken und Bolstern geben dem Körper die nötigen Signale, um tief loszulassen.
Dabei ersetzt keine Decke und kein Bolster die heilende Präsenz einer therapeutischen Hand – weder im Video noch im Raum. Doch gerade in Gruppenstunden, in denen nicht alle individuell berührt werden können, bieten diese Formen eine Möglichkeit, dem Körper trotzdem eine haltgebende Information zu vermitteln. Eine Decke kann die Erinnerung an Berührung wecken, das Gefühl von Gehaltensein. Und manchmal reicht genau das, um das Nervensystem zu beruhigen.
Anatomische Grundlagen und Faszien
Die Wirkung der Auto-Cranio- und Auto-Osteo-Shavasanas beruht wesentlich auf der Stimulation des faszialen Netzwerks. Faszien umhüllen Muskeln, Organe und Knochen und bilden ein dichtes, durchgängiges Gewebenetz im Körper. Im Yin Yoga zielen wir darauf ab, diese Schichten über Zeit und achtsame Stille zu erreichen.
Das Auflegen von Decken und das ruhige, sichere Ablegen auf einem Bolster erzeugen einen sanften, gleichmäßigen Druck, der als angenehm und haltgebend wahrgenommen wird. Diese mechanischen Reize wirken auf die Interozeption – die Fähigkeit, innere Körperzustände wahrzunehmen – und können sowohl die Durchblutung als auch die fasziale Gleitfähigkeit verbessern. Gleichzeitig aktivieren sie das parasympathische Nervensystem und schaffen einen inneren Raum der Weichheit und Öffnung.
Zusätzlich spielt der craniosacrale Rhythmus eine wichtige Rolle: eine rhythmische, subtile Bewegung der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit, die sich durch den gesamten Körper überträgt. Unterstützende Hilfsmittel im Bereich von Kopf und Nacken können diese Bewegung erspüren helfen – nicht aktiv, sondern indem sie die Aufmerksamkeit sanft in diese Tiefe führen.
Neurophysiologische Zusammenhänge – die Sprache der Sicherheit
Die Polyvagale Theorie von Stephen Porges beschreibt, wie unser Nervensystem unbewusst auf Reize reagiert. Zentral ist hier die sogenannte Neurozeption: das automatische Erkennen von Sicherheit oder Gefahr. Nur wenn das System Sicherheit wahrnimmt, kann es in den ventralen Vaguszustand wechseln – also in den Zustand von Regeneration, Verbindung und Selbstregulation.
Die unterstützten Shavasana-Formen wirken genau hier: Durch das Eingebettet-Sein, das ruhige Aufliegen, das wohltuende Zugedecktsein entstehen Signale, die vom Nervensystem als „sicher“ wahrgenommen werden. Die Atmung wird ruhiger, die Herzfrequenz reguliert sich, der Muskeltonus sinkt. Gleichzeitig kommt es zur Ausschüttung beruhigender Neurotransmitter wie Acetylcholin – ein Zeichen dafür, dass das System bereit ist, in die Tiefe zu sinken.
Besonders in somatischen Ansätzen wird genau dieser Moment geschätzt: Wenn der Körper von innen heraus spürt, dass er nicht mehr wachsam sein muss. Dass nichts getan werden muss. Dass Loslassen sicher ist.
Therapeutische Anwendung in der Praxis
Die Auto-Cranio- und Auto-Osteo-Haltungen lassen sich vielfältig einsetzen: im Einzelsetting, in Gruppenstunden, zuhause in der Selbstpraxis oder begleitend zu therapeutischer Arbeit. Manche Varianten fördern Erdung und Stabilität im Beckenraum, andere entlasten den Herzraum oder unterstützen durch sanfte Kopflagerung die craniosacrale Achse.
Wichtig ist: Es wird nichts gewichtet. Es wird nicht gedrückt. Es wird nur sanft gestützt und zugedeckt. So entsteht eine stille Präsenz, die der Körper als Einladung zur Selbstregulation versteht. In der Begleitung gilt es, achtsam hinzuhören: Welche Lagerung wird heute gebraucht? Was fühlt sich stimmig an? Körperlich wie emotional?
Fazit
Die therapeutischen Shavasana-Formen Auto-Cranio und Auto-Osteo machen sichtbar, was im Inneren geschieht: feine Bewegungen, kleine Veränderungen im Tonus, tiefe Atemwellen. Sie laden nicht nur zur Ruhe ein, sondern öffnen den Raum für echte Regeneration – körperlich, nervlich und seelisch.
Ob im Yin-Restorative-Yoga, in der Therapie oder in somatischen Prozessen: Diese Formen schenken dem Körper etwas, das in unserer schnellen Welt selten geworden ist – das Gefühl, gehalten zu sein.
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Gönn dir den Raum zum Loslassen. Dein Nervensystem wird es dir danken.